Interessanter Artikel über Rainer Engelke, den Züchter von Face Time Bourbon

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    Der Prix-d'Amérique-Sieg von Face Time Bourbon erzählt die Geschichte eines rasend schnellen Traberhengstes. Und des langen Weges seines deutschen Züchters Rainer Engelke.


    Wer mit Pferden Erfolg sucht, der brauche die drei großen G, sagt Rainer Engelke. Geld, Glück und Geduld. Von allem hat der 78-jährige gebürtige Hamburger offenbar reichlich. Er ist Züchter und Mitbesitzer des Traberhengstes Face Time Bourbon. Der Braune gewann am Sonntag zum zweiten Mal das wichtigste Trabrennen der Welt, den Prix d'Amérique in Paris-Vincennes und füllte somit das Konto seiner Besitzer mit 450 000 Euro. Solche Preisgelder sind möglich, weil die öffentlich-rechtliche Wettagentur PMU sechs Prozent ihres Gewinns bereitstellt. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 58,58 Stundenkilometern fegte der Hengst über die Bahn, gesteuert vom Schweden Björn Goop, der allerdings erstmal eine Woche pausieren muss, weil er einem Konkurrenten fast die Speichen abgefahren hätte. Passiert ist nichts, "kommt vor", sagt Engelke.


    Es ist mehr als 70 Jahre her, dass Rainer Engelke an der Hand von Vater und Großvater - "kleine Kaufleute", wie er sagt - jeden Mittwoch und jeden Sonntag auf die Hamburger Trabrennbahnen Bahrenfeld und Farmsen marschierte. Hier wurden die Weichen gestellt: "Ich hatte gar keine Wahl." Spätere Ausflüge zum Springderby oder in den Galoppsport blieben folgenlos, ein eigenes Pferd blieb lange nur ein Traum. "Die Geschäfte gingen schlecht, zu Hause war die Stimmung mies, da habe ich mir vorgenommen, mir erst ein Pferd zu kaufen, wenn ich es mir wirklich leisten kann."

    Dem ersten G, dem Geldverdienen, waren folglich die nächsten Jahre gewidmet. Nach einer Banklehre studierte und jobbte er in New York, dann Paris. Auch dort zog es ihn magisch zu den Trabrennbahnen. Beide Länder sind Hochburgen dieses Sports, der heute in Deutschland nur noch in der Nische stattfindet.

    Bevor er sein erstes Pferd ins Rennen schickte, hatte Engelke so ziemlich alles gelesen, was zum Thema Zucht und Rennen gedruckt war

    Zurück in der Heimat arbeitete Engelke in der Hamburger Vereinsbank, bald gelang der Sprung in die Führungsetage. Ein Antiquar weckte in ihm die zweite große Leidenschaft, die Liebe zu alten Büchern. Heute besitzt Engelke 1000 Pferdebücher, auch aus dem 16. Jahrhundert. Bevor er sein erstes Pferd ins Rennen schickte, hatte er so ziemlich alles gelesen, was zum Thema Zucht und Rennen gedruckt war. Er kannte die alten Geschichten, auch die von Walter Heitmann, der 1953 mit dem von ihm selbst gezogenen Permit den Prix d'Amerique gewann. Oder die von Springreiter-Olympiasieger Alwin Schockemöhle, dessen Traber Abano As den Klassiker in Paris 2003 gewann.


    Mit 38 Jahren verließ Engelke die Bank und machte sich selbständig. Mittlerweile wusste er, wie das geht mit dem Geldverdienen. "Ich war mein einziger Kunde", sagt er. Inzwischen mit einer Französin verheiratet, legte er sich ein kleines Anwesen in der Normandie zu. 130 Hektar hügelige Wiesen, was fehlte, waren die Pferde. Doch was Rainer Engelke vorschwebte, war schwer zu kriegen. Das Beste vom Besten, natürlich, was sonst? Doch die französischen Traberzüchter ließen ihn auflaufen. "Die verkaufen ihre Mutterstuten nicht, die sind wichtiger als der Sohn," musste Engelke erfahren. Er erwarb einige zweitklassige Pferde, "um die Ställe ein bisschen zu möblieren", der Erfolg blieb aus, der Frust wuchs - er musste was anderes probieren.

    "Ich wäre wohl eher ein Basketballspieler geworden", räumt Engelke ein

    Auf Rat von Trainer und Züchter Jean Pierre Dubois kaufte er auf der Auktion in Deauville die Jährlingsstute Etta Extra für den Spitzenpreis von 430.000 Francs, also 65.000 Euro. "Biete einfach auf die Stute mit dem besten Pedigree", hatte Dubois ihm geraten. Die Ahnentafel der Braunen strotzt nur so von klassischen Siegern des Trabrennsports, da konnte man nicht viel verkehrt machen. Rainer Engelke wurde nun zum Züchter und fuhr selbst Amateurrennen, mehr begeistert als begabt. "Ich wäre wohl eher ein Basketballspieler geworden." Auf dem Sulky wurde es für den 1,93-Meter-Mann etwas eng. Aber den Adrenalinschub in einem Dreiminuten-Rennen, der hatte was.


    Ettas Urenkel ist der Prix-d'Amérique-Sieger Face Time Bourbon. "Ich bin der Picasso," sagte Engelke - der Züchter und damit der Schöpfer eines Wunderpferdes. Es war wohl das zweite G, das Glück, das dafür sorgte, dass der braune Hengst als gelungene Investition bezeichnet werden darf. Als Dreijähriger wurde er syndikatisiert, von 100 Anteilen gehören Engelke und anderen französischen Eignern 35 Prozent, 65 einem italienischen Konsortium. 80.000 Euro kostete damals ein Anteil, der heutige Wert wird am Markt mit 200.000 € beziffert. Rechnet man die Deckeinnahmen hinzu, stehen für den Braunen rund 25 Millionen Euro zu Buche. Im nächsten Jahr wird Face Time Bourbon es nochmal versuchen in Paris. "Wenn er gesund bleibt", sagt Engelke.


    Der Züchter lebt jetzt ganz in Südfrankreich. Wenn er seine Pferde in der Normandie besucht, freut er sich, dass seine Geduld, das dritte G, so reichlich belohnt wurde. Drei bis sechs Fohlen und ihre Mütter tummeln sich das ganze Jahr über draußen, fressen das üppige Gras der Normandie und trinken Quellwasser. Wer denkt bei dieser Idyllle noch an Preisgelder und Renditen? Wahrscheinlich Rainer Engelke.